J. WERNICKE

Die Heimcomputerszene made in GDR


Was ein Z 1013 oder KC85 ist, wissen langjährige Leser des FUNKAMATEUR. Was aber können Leser aus den alten Bundesländern damit anfangen? Der nachfolgende Beitrag bietet einen Einblick in die spezifische Computerszene der seligen DDR und erfüllt eine Postbox-Bitte.
 

Ohne Moos nichts los

Computerfreaks der "ersten" DDR-Stunde wissen um die Schwierigkeiten. die es so etwa anno 1983 in diesem Umfeld gab. Um es genau zu sagen: Es existierten keine Heimcomputer aus der eigener Produktion. Für Schulungszwecke konnten Betriebe und Schulen nur den Polycomputer erwerben, und der war vom Konzept her ähnlich, Wie die 1977/78 in Westdeutschland auf dem Markt boomenden Computerkits, also ein Einplatinenrechner mit mageren 1-KByle-RAM und ebensoviel Betriebssystem plus Hexadezimaltastatur. Als Prozessor wurde der U 880 eingesetzt, der voll
kompatibel zum Zilog Z 80 ist und lange Zeit Standardprozessor in der DDR war.
Was also sollte derjenige tun, dessen großer Wunsch es war, einen (damals) leistungsfähigen Computer in die Hände zu bekommen? Wer keine spendable Tante im deutschen Ausland hatte, mußte traurig aus der Wäsche gucken oder war gezwungen, einen "Währungsumtausch” durchzuführen. Und das war teuer, denn die Kurse stiegen mit zunehmendem Bedarf an harter Währung. Normal und durchaus noch “barmherzig" war 1:6, so daß ein Commodore C 64 (nur mit Datasette versteht sich) noch an die 6000 Ostmark kostete. Zugegeben, man mußte schon ein ziemlicher Freak sein, um solch eine Summe dafür zu löhnen (bei einem Durchschnittsgehalt von 700-800 DM). Für alle, die wegen dieser "Schwachstelle” keinen C 64, 800XL oder Spectrum besaßen, kam 1984 der erste Einplatinenrechner auf den DDR-Markt. Er war ein bescheidenes Stück, dieser Lerncomputer: LED-Anzeige für Daten und Adressen, 2-KByte-ROM-Betriehssystem, 1-KByte-RAM und U 880 plus PIO und CTC. Mit diesem Equipment konnte der LC 80 nur in
Maschinensprache programmiert werden und war daher etwas für echte Insider.
 

AC 1 - das Amateurprojekt

Bedenkt man, daß es Anfang 1984 noch keinen Heimcomputer zu kaufen gab, der in der Lage war, ein Schriftbild auf dem Bildschirm darzustellen, war ein gewisser Computer. der im FUNKAMATEUR als Bauanleitung erschien, schon eine Meisterleistung. Ein Team von Funkamateuren entwickelte einen Rechner, der auf einer (relativ großen) Leiterplatte nicht nur vier 1-KByte-ROM-Speicherplätze,
1 KByte RAM und einen CTC aufnahm, sondern auch einen kompletten Bildschirmteil mit 16 Zeilen à 64 Zeichen. Auch hier wurde als CPU der U 880 eingesetzt.
Der AC 1 war von seinen Entwicklern mit einem gewissen Weitblick konstruiert worden. Einmal für spezielle Amateurfunk-Anwendungen, wie RTTY, Telegrafie und Contestaufgaben, zweitens mit dem Ziel, ihn später auszubauen und CP/M-fahig zu machen. Deshalb war die Anzahl der Zeichen schon von vornherein auf 64 festgelegt worden.

Bild 1: Der Amateurcomputer AC1

Das gesamte Konzept basiert auf einer doppelseitig (nichtdurchkontaktierten) Leiterplatte die der Elektroniker für einen akzeptablen Preis bestellen konnte, so daß ein relativ unkomplizierter Aufbau möglich war. Dieser Amateurcomputer AC1 war mit einer ASCII-Tastatur ausgerüstet. Ein Monitor-Betriebssystern ergänzte den Rechner, der mit einer für damalige Verhältnisse schnellen Kassettenspeicher- Schnittstelle ausgerüstet war.
Der AC 1 wurde in Amateurkreisen ein riesiger Erfolg, etliche tausend Mal nachgebaut und immer mehr software- und hardwaremäßig erweitert, so daß er letztendlich auch auf CP/M lauffähig war. Besonders hervorzuheben ist der Ausbau zum Vollgrafiksystem und Diskettenbetrieb mit 256-KByte-RAM-Karte.
 

Der Erste aus Mühlhausen

Das Jahr 1984 war geprägt von allerlei Ereignissen auf dem Gebiet der Computertechnik. Aus Mühlhausen in Thüringen kam die hoffnungsvolle und in allen Computerkreisen aufhorchende Nachricht: Ein Heimcomputer ist entwickelt worden, der in absehbarer Zeit seinen Weg in die Geschäfte nehmen wird. Dieser HC 900 konnte sich mit seinen technischen Daten durchaus sehen lassen. Abgesetzte alpha numerische Tastatur, farbige Vollgrafik (320 x 256 Bildpunkte) mit 16 Vorder- und 8 Hintergrundfarben, 32 KByte Arbeitsspeicher (erweiterbar) und Kassettenschnittstelle
waren die wichtigsten Merkmale dieses Rechners. Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß die Entwickler des HCs bei dieser Hardware einen kleinen, leistungsfähigen Rechner aus England zum Vorbild hatten. In der Perspektive waren auch Erweiterungen, wie Floppy und Drucker geplant, was allerdings mehr euphorischen Ursprung hatte, denn es mußten Jahre vergehen, bis ihn Lieschen
Müller in den Geschäften sah. Auf Anweisung einer Frau Honecker, seinerzeit Bildungsministerin, wurde er vorerst nur für Schulen gebaut. Aber auch für diese Institutionen reichten die produzierten Stückzahlen nicht. Oftmals mußten sich mehrere Auszubildende einen Rechner "teilen", so daß das Lernen und der Umgang mit der Technik erheblich beeinträchtigt waren.
Fast zur gleichen Zeit stellte Robotron ebenfalls den Heimcomputer Z 9001 vor, dem eher ein mittelmäßiges Konzept zugrunde lag: 4-KByte-ROM-Betriebssystem, 16KByte RAM, 24 Zeilen mit je 40 Zeichen, zur “Grafikunterstützung” etliche Symbole im Zeichengenerator und BASIC- sowie RAM-Erweiterungsmodule. Die ASCII-Gummitastatur befand sich im Rechnergehäuse. Auch diesen Computer konnte man lange, nicht in den Geschäften finden - aus den oben genannten Gründen.
 

Vieles war anders

Das Interesse an diesen Rechnem war zwar groß, wurde jedoch durch ein Kriterium stark gedämpft, nämlich das Softwareangebot. Vielen war klar, daß es, bedingt durch das wirtschaftliche System in der DDR, niemals möglich war, ein breites Spektrum an leistungsfähiger Software für diese Computer anzubieten diese Tatsache entsprang der Erfahrung aus den Betrieben, da es ein offenes Geheimnis war, daß sogar Robotron westliche Software, wie CP/M u.a. kopierte und manipulierte.Deshalb änderte man auch Namen und Ausdrücke. So wurde aus CP/M das Robotron SCP, aus dBase ganz simpel REDABAS und aus Homecomputer einfach Kleincomuter. Natürlich blieben auch die Freaks nicht verschont: Aus der Computerei wurde auf einmal der Computersport, und Computerklubs waren nach der Wortumstellung Arbeitsgemeinschaften für Mikrorechentechnik. Angesichts dieser Wörter war den Insidern nur noch ein müdes Lächeln abzuringen. Man stelle sich nur einmal einen Athleten vor, der einen PC gewichthebt - schon hat man eine Erklärung für Computersport.
Etwas Hoffnung kam auf, als Ende 1984 die Preise vom Atari und Spectrum drastisch
heruntergingen (beim Sinclair gleich von etwa 550 DM auf 398 DM). Dadurch rückten auch diese Rechner wieder mehr ins Rampenlicht der Szene. Ja, es boomte sogar. Für den Spectrum schossen die Klubs wie Pilze aus dem Boden, denn seine Prozessorverwandtschaft mit dem U880 prädestinierte ihn hesonders für ernsthafte Maschinensprache-Programmierer. Vielleicht sind dem einen oder anderen Anhänger dieses kleinen Maschinchens noch die interessanten Vorträge des Computerklubs der Humboldt-Uni in Erinnerung, bei denen selbst ein großer Hörsaal der Charité nicht mehr ausreichte und die Interessenten ziemlich frühzeitig errscheinen mußten, um
einen der begehrten Plätze zu ergattern.
Es war schon eine bewegte Zeit, sowohl für die AC1- als auch für die Spectrum-Gemeinde. Natürlich nicht diejenigen zu vergessen, die sich andere Z80-Rechner aufbauten, wie den später erschienenen Kramer-Computer, den kleinen BASIC-Rechner der "radio fernsehen electronic" oder die Maschine der “Jugend und Technik". Im übrigen begann ein reger Softwareaustausch, der zwischen den meisten Fans unentgeltlich stattfand. Wenn die Softwarehäuser gewußt hätten, wie viele kommerzielle Programme schwarz kopiert worden sind, wären sie wohl vor lauter Zorn in die Luft gegangen und bis heute nicht wieder heruntergekommen. Aber das waren eben die Zeiten, der Eiserne Vorhang, schützte die Freaks irn Ostblock. Ob Gremlin, Microbyte oder andere Softwarefabriken, keine konnte dabei Gewinn machen, hätte wohl auch keinen machen können, denn für offiziellen Import wären keine Devisen locker gemacht worden.
Aber es war nicht nur die Kopiereuphorie. Hardwaremäßig wurden viele eigene Produkte entwickelt, vom Eigenbau-Plotter bis hin zum Disketteninterface oder aufwendigen rechnergesteuerten (Einchiprechner-) Tastaturbaugruppen, Druckerinterfacen und Mauszusätzen. Hier klappte die Produktion, obwohl Rechnerbauteile knapp und auch teuer waren, man half sich so gut es ging. Allerdings soll an dieser Steile auch nicht verschwiegen werden, daß es zu jener Zeit üble Geschäftemacher gab, die Programme und Hardware zu Wucheerpreisen verkauften. Bild 3 zeigt davon einen verschwindend kleinen Ausschnitt. 

Bild 3: Westliche Computer wurden zu Wucherpreisen an den Mann (Frau) gebracht.

Bei diesen Geschäften karn die “freie” Marktwirtschaft schon voll zur Geltung, So mußte man für einen ZX81 etwa 1100Mark, für eine 48-KByte-Spectrum 3500Mark und gar für einen 800er XL
5000Mark auf den Tisch legen. Ähnliches auch bei den Bauelementen. Einen EPROM 2764? Bitte schön: 160Mark. Oder gar einen Z80B? Mit: 115 Mark war man dabei. Angesichts dieser Preise war der SeIbstbau von Rechnern nicht gerade attraktiv.
Wie im Kleinem, so machte man es auch im Großen. Robotron, seinerzeit uneingeschränkter Anbieter von PCs und Zubehör verlangte von den Betrieben gepfefferte Preise. Ein schlichter PC stand mit etwa 20000Mark auf der Liste. Ein Floppy-Disk-Laufwerk mit 3500Mark und ein Zehnerpack Disketten 750 Mark. Der Grund lag einerseits darin, daß vieles (Floppys und Disketten z.B.) Importe waren. Andererseits hatte man das volle Monopol, und die Nachfrag war riesengroß. Hinzu kam, daß es verboten war, Tonträger einzuführen, egal ob Kassetten oder Disks. Das galt auch für Bauelemente.
Ausnahmen machte der Staat nur bei Betrieben, die wie Robotron wirtschaftliche Prioritäten besaßen: Diese konnten “Handelsreisende” rüber schicken, um wichtige Bauelemente einzukaufen, damit die Rechnerproduktion weitergehen konnte. Ursache: Die Bauelementeindustrie, war nicht in der Lage, die geforderte Menge zu liefern, besonders Speicherbausteine größer 1KByte.
 

Neuer Aufwind

1985 kam aus Mühlhauscn eine neue Nachricht: Der KC 85/2 ist in Arbeit (aus dem HC 900 wurde irgendwann der KC 85/1 (Anm.: man meinte den "KC85/2") ). Äußerlich im gleichen Outfit wie der HC 900, wartete der Neue mit 32-KByte-RAM, 4-KByte-ROM, 1,75 MHz Taktfrequenz und U880 auf. Zusätzlich konnte man Zusatzmodule erwerben, vorerst ein BASIC-, eine l6KByte-RAM-Erweiterung und ein Druckermodul.

Bild 2: KC85-Aufbau, wie er in Arbeitsgemeinschaften üblich war

Allerdings: Die Produktionsstückzahlen ließen es nicht zu, ihn in ausreichender bzw. geforderter Menge in die Läden zu bringen, so daß Warten und Geduld angesagt waren, vom Preis für solche hochwertigen Konsumgüter (ein vielfach übertriebener Begriff) einmal zu schweigen.
Dafür kamen immer mehr Exoten zu uns herüber: Ob es der kleine ZX81 war oder die gerade erst auf dem Markt kommenden MSX-Computer - eine Fülle von verschiedenen Typen übersäte die DDR-Rechnerlandschaft und war auch nicht mehr wegzukriegen. Selbst in den sogenannten Intershops tauchten 1986 die ersten C64 und 800XI.auf, ein Beweis dafür, daß man versuchte, den Leuten die letzte
Westmark aus der Tasche zu ziehen. Warum es aber außer ein paar ZX81 keine anderen Z80-Rechner dort gab, konnte nur Ursache von Unfähigkeit gewesen sein - dies begriff kein Freak.
Auch der Zoll hatte Hochkonjunktur. Es war erlaubt, sich einen Computer schicken zu lassen. Bekam derjenige aber einen zweiten, konnte er damit rechnen, einen entsprechend hohen Zoll zahlen zu müssen. Dieser entsprach den "handelsüblichen" Größenordnungen, beispielsweise für einen Schneider CPC etwa 6000Mark.
 

“Bausätze, Bausätze”

Nicht nur, daß die Hardwarefreaks eifrig damit begannen, den Sinclair mit “hauseigenen” Bauteilen nachzuempfinden und aufzubauen, nein, in manchen Regionen entstanden fast professionelle Produktionen von Leiterplatten. Dadurch war es auch “Unbetuchten" möglich, einen Rechner aufzubauen. der das volle
Softwareangehot verarbeiten konnte, was natürlich zu regen Copy-Zeiten führte. Interessant war z. B. der Rechner der TU Ilmenau, der im voll ausgebauten Zustand 256KByte (4RAM-Bänke) aufnahm und deren durchkontaktierte Leiterplatte über die FDJ-Zeitung (!) zu erhalten war.
Parallel dazu hatte man in Riesa den Bausatz Z1013 entwickelt, den jeder Interessent beim Hersteller beziehen konnte. Eigentlich war das Wort Bausatz nicht ganz richtig, denn der Einkartenrechner war vollständig bestückt. Lediglich die Tastatur (Folie) und ein Netzteil mußten angeschlossen werden. Der Computer besaß von Haus aus 16-KByte-RAM und 2- bzw. 4-KByte-ROM (Betriebssystem) plus U880. Auf dem Bildschirm konnten 32 Zeilen mit je 32 Zeichen ausgegeben werden. Als Programmspeicher diente ein Kassettenrecorder. Leider gab es anfangs nur ein 3-KByte-Tiny-BASIC, das erst relativ spät durch einen 10-KByte-Interpreter ergänzt wurde.


Bild 4: Ansicht des Einkartenrechners Z1013, wie er ab Werk ausgeliefert
wurde. Im Vordergrund die Folientastatur.

Was aber wären solche Rechner ohne die Kreativität der Amateure. Natürlich wurde der Z1013 bei vielen in den Stand des Ausbaucomputers erhoben. Es entstanden Speichererweiterungen, Druckerinterfaces und auch Grafikkarten, wobei einige von ihnen den Spectrum nachahmten und auch seine Programme benutzen konnten. Nie werde ich den vom Lachen erfüllten Hörsaal vergessen, als ein Cornputerfreund seine
Grafikkarte für den Z1013 vorstellte. Der Screen baute sich genauso auf wie beim Spectrum, und das Bild war auch allen bekannt.
Auch in Mühlhausen war man nicht ganz untätig. 1987 hatte man den KC85 in seiner 3. Version entstehen lassen. Die Hardware wurde gegenüber dem 2er nicht geändert, lediglich ein ROM-residenter BASIC-Interpreter kam hinzu, so daß sich der Rechner nach dem Einschalten bereits in dieser Sprache programmieren ließ. Zu jener Zeit war es auch schon möglich, den KC85 oder den KC87 (Ex-Typ: Z9001) zu
kaufen, so daß es bis zur Wende nur noch (!) die Software war, die einen Engpaß bildete. 

Bild 5: Einige Zusatzmodule der KC-Serie

Ebenfalls 1987 wurde in Buchform noch der technisch anspruchsvolle “Kramer-Computer” als Eigenbauprojekt publizert, der durch seine Mehrplatinen-Steckbauweise gute Möglichkeiten für Modifikationen bot.
Zu guter Letzt sollte doch noch der KC 85/ 4 erwähnt werden, mit dem Mühlhausen Anfang 1990 um die Gunst der Käufer warb: Ein Ausbausystem mit Floppyaufsatz (CP/M-fähig), kommerziellerTastatur (Ende 1990) und Software auf Disketten. Leider kam dies alles viel zu spät. 
Natürlich konnte der Beitrag nicht alle Seiten der Computerszene in der Ex-DDR aufführen. Betrachtet man alleine schon die genannten Beispiele (natürlich mit einem Schmunzeln), wird klar, daß es nicht der damalige Staat war, der den Menschen die Rechnertechnik näherbrachte - es waren die Menschen selbst, die ihren Wissertsdurst mit beachtlichen finanziellen Mitteln und großem ideellen Einsatz
stillen sowie oftmals gegen Gesetze verstoßen mußten - nur, um in die Computertechnik einzudringen.