Die AC1 - Story
5 Jahre AC 1
“Ist es wirklich schon fünf Jahre
her, daß der AC 1 entstand?" fragte sich so mancher Leser als er
unseren Aufruf im Heft 12/88 las. Ja, die Zeit ist schnell vergangen, einige
tausend dieser Computer sind inzwischen in allen denkbaren Konfigurationen
gebaut worden. Die Fotos auf dieser Seite zeigen einige davon. Wir haben
sie aus den zahlreichen Einsendungen unserer Leser zu unserer Aktion zusammengestellt.
Mehr über die Entstehungsgeschichte, den heutigen Stand und die weitere
Entwicklungsrichtung des Amateurcomputers finden Sie im Beitrag auf den
ersten Seiten dieses Heftes.
Die AC1 - Story
- oder was ein kleiner
Computer mit der großen Politik zu tun hat
Anfang der achtziger Jahre: Das Referat
Technik des Präsidiums des Radioklubs der DDR beschloß die Entwicklung
eines elektronischen Fernschreibgerätes, das vorrangig der Weiterentwicklung
der Sendeart RTTY dienen sollte. Unter mehreren anderen Lösungen unterschiedlichen
Aufwands setzte sich der Vorschlag Frank Heyders, Y21SO, durch. Er legte
das Konzept eines universell anwendbaren Amateur(funk)computers vor. Die
technische Grundlage für einen solchen Mikrorechner sollte das Prozessorsystern
U880 bilden, das Anfang der achtziger Jahre auch dem Amateur bereits aus
DDR-Produktion zur Verfügung stand. Wesentlich komplizierter zeigte
sich die Lage bei den peripheren Bauelementen. Die Bedingung, den Computer
ausschließlich mit in der DDR erhältlichen Schaltkreisen zu
konstruieren, war nicht einfach zu erfüllen.
Die ersten Schritte
Frank Heyder machte sich an den Hardwareentwurf.
Bald darauf entstand unter Mitarbeit von Frank, Y21SO, Sigi, Y21YO und
Olaf, Y23FO, der erste Versuchsaufbau. Frank schrieb das Betriebssystern
und realisierte die Inbetriebnahme des ersten Rechners. Glücklicherweise
existiert noch der "Urahn", der erste AC 1, so war ich in der Lage, dieses
historische Stück ablichten zu können.
Die erste Software waren der Monitor,
ein einfaches RTTY-Programm und ein CW-Programm. U. a. aus dem Einsatzvorhaben
RTTY resultiert übrigens das Format 64 Zeichen je Zeile!
Parallel dazu erfolgte der Abschluß
einer Neuerervereinbarung mit dem Zentralvorstand der GST zur Entwicklung
einer Leiterplatte für den Amateurcomputer, die ihn für die Amateure
nachbaubar machen sollte. Bedingung war hier eine möglichst einfache
und in der Herstellung billige Leiterplatte. Deshalb schied damals eine
durchkontaktierte Leiterplatte aus. Das Originallayout hatte, im Maßstab
4:1 entworfen, die stattlichen Abmessungen von 1m x 1,20m!
1983 war der AC 1 dann als ZMMM-Exponat
in Leipzig zu sehen.
Schließlich war es soweit: die ersten
zehn Platinen der Versuchsserie lagen auf dem Tisch. Sogleich machte sich
eine Gruppe von Funkamateuren, unter ihnen auch der heutige Generalsekretär
des RSV, Ulrich Hergett, Y27RO, an den Aufbau. Bei Frank Heyder stand das
Funkgerät nicht mehr still. Unzählige Konsultationen auf dem
Band und viele Wochenenden vergingen, bis die Versuchsserie komplett lief.
Voraussetzung für Frank, die Veröffentlichung im FUNKAMATEUR
vorzubereiten. Der Chefredakteur K.-H. Schubert, Y21XE, hatte das Projekt
von Anbeginn unterstützt, gab es doch damals in der DDR noch keine
Publikation zum Selbstbau eines Computers und der Gedanke an die industrielle
Herstellung eines allgemein verfügbaren Heimcomputers steckte noch
in den Kinderschuhen.
Kontra den Skeptikern
Auch zum AC 1-Projekt gab es Skepsis von
verschiedenen Seiten, da es damals durchaus nicht einfach erschien, einen
Computer "auf dem Küchentisch", noch dazu durch Nichtcomputerexperten,
aufzubauen. Man wagte das Projekt dennoch, und - um es vorwegzunehmen,
der Erfolg gab den Optimisten recht. Hier sei ein entfernter Vergleich
zur Industrie gestattet: Würde man noch heute auf die Bauelemente
und Technologien von morgen warten, wo würden wir dann heute in der
Elektronik stehen? Wohl auf keinen Fall bei 16-Bit-Computern, kurz vor
dem 32-Bit-Prozessor oder bei 1-Mbit-Speicherschaltkreisen. Auch bei unserem
kleinen Computer ignorierte man die, die ewig über den Zaun blickten
und auf die Erleuchtung warteten. Nein, man besann sich statt dessen auf
die eigene Kraft, überlegte und fing einfach an.
In dieser Zeit entstand so manche Freundschaft
zwischen Gleichgesinnten und ihren Familien, die die Zeit überdauerte.
Olaf hatte eine besonders glückliche Hand, als er Jörg Reul,
Y27XO, mit Frank Heyder persönlich bekanntmachte. Jörg war ein
Autodidakt, der sich sehr schnell umfangreiche Programmierkenntnisse aneignete,
für Frank so eine wertvolle Hilfe bei der Erarbeitung guter Soft-
und Hardware wurde. Das Team Heyder/Reul war geboren, beide haben nie die
Tassen Kaffee und die Wochenenden gezählt, an denen sie Soft- und
Hardwareprobleme diskutierten, genausowenig wie die AC 1, die Frank später
zum Leben erweckt hat.
Bauanleitung nach Maß
Durch die erfolgreiche Versuchsserie hatten
nun Konstrukteur und Redaktion die Garantie für ein fehlerfreies Leiterplattenlayout
einschließlich des dazugehörigen Bestückungsplans. Dazu
kam die bereits vor der Veröffentlichung erprobte Bauanleitung, in
die nun die umfangreichen Erfahrungen aus der Versuchsserie eingeflossen
waren. Damit entstand eine Bauanleitung nach Maß. Einige Erfahrungen
im Aufbau und für die Funktion von Digitalschaltungen, das Wissen,
wo beim Lötkolben vorn ist, ein Prüfstift, ein Vielfachmeßgerät
und bestenfalls ein Oszilloskop, das waren die Voraussetzungen, die man
mitbringen mußte, um anzufangen.
Apropos anfangen - ja, womit denn, hat
sich nach dem Beginn der Beitragsserie im
FUNKAMATEUR so mancher landauf, landab
gefragt. Das Bauelementeproblem war ja noch mehr oder weniger schnell lösbar,
aber die Leiterplatte? Das Haus des Radioklubs organisierte die Herstellung
einer Serie von 150 Platten, aber auch die waren nur ein Tropfen auf dem
heißen Stein. Schließlich und endlich fand man den Partner,
den VEB Elektrophysikalische Werke Neuruppin. Hier entstand dann die Serie
von 3 000 Leiterplatten, die zum Preis von 21 Mark (!) in Wermsdorf vertrieben
wurden. Später stießen zum Kreis der Leiterplattenhersteller
noch die Firma Ing. Kolbe und verschiedene private Anbieter, so daß
man heute von etwa 5 000
verkauften Leiterplatten ausgehen kann.
Wenn das keine Resonanz auf eine Veröffentlichung ist!
Und was diese Resonanz für Autor
und Redaktion bedeutete, kann man sich leicht vorstellen, Anfragen und
Aufbauhilfe - es reißt bis heute nicht ab!
1984 also, mit der Veröffentlichung
der Bauanleitung des "Amateur-Computer 1” war die öffentliche Geburtsstunde
des AC 1 datiert. Seither ist er im Gespräch bei tausenden Computerfreunden
im ganzen Land. Man lötete, blockierte die Kanäle nächtelang,
fluchte oft genug, warf alles in die Ecke, um dann, wie magisch angezogen,
doch weiterzumachen.
Trümpfe der Bauanleitung waren ihre
Übersichtlichkeit und das Prinzip einer detaillierten Beschreibung
der schrittweisen Inbetriebnahme, die es auch Nichtcomputerexperten möglich
machte, ihren Computer selbständig in Betrieb zu nehmen, nachdem die
offenbar obligatorischen Zinnbrücken beseitigt und die vergessenen
Lötstellen nachgelötet waren.
Bernd Fischer aus Halberstadt schrieb
uns dazu: "Es war ein erhabenes Gefühl, die ersten Zeichen auf dem
Bildschirm zu sehen. Ich hatte es aus eigener Kraft geschafft!" Ein Gefühl,
das sicher jeder Amateur nachempfinden kann. Oder K. Kanzler aus Sömmerda:
“... ich bin Werkzeugmacher, 52 Jahre. Das sind nicht die besten Voraussetzungen
zum Bau eines Computers, aber ich habe mich beim Bau und Betrieb ganz schön
reingefuchst ...". Zwei Beispiele aus der Vielzahl der Zuschriften an unsere
Redaktion.
Software, Software
Das Entwicklungskollektiv organisierte
aus dem großen Bedarf an Software heraus zwei Softwareveranstaltungen
im Haus des Radioklubs der DDR. Schon hier war der Andrang nicht mehr zu
bewältigen, man appellierte an alle Computerfreunde, die Software
schnell, unkompliziert und vor allem kostenlos weiterzugeben. Und nun folgte
ein dunkles Kapitel des Umgangs unter einigen AC 1-Besitzern. Für
den etwas abseits vom Geschehen wohnenden User kostete es plötzlich
viel Geld, über Dritte AC 1-Programme zu bekommen. Einige gaben auf,
verbittert über solche Praktiken.
Software kam auch aus den User-Gemeinschaften
in allen Teilen unseres Landes. Leider ging dabei auch das ursprüngliche
Software- und Hardwarekonzept (zum Beispiel der Sprungverteiler) manchmal
unter, so daß die Situation für den normalen User bald sehr
unübersichtlich wurde. Um der einheitlichen Softwarerichtlinien willen
und aus der Philosophie heraus, daß ein Monitor ja eigentlich nur
ein Urladersystem sein soll (zunächst gleich, wie komfortabel), hat
die Redaktion FUNKAMATEUR sich bisher ausschließlich am Monitor V3.1
orientiert, da wir die Prämissen der Entwickler als bindend akzeptieren.
Wenn die Schnittstellen und der Sprungverteiler beachtet
werden, ist es letztlich tatsächlich
nur eine Komfortfrage.
Viele unserer Leser beklagten das "Softwareloch"
für den AC 1 im FUNKAMATEUR. Das betrifft besonders die AC 1-Besitzer,
die keine Verbindung zu Usergemeinschaften haben. Frank Heyder dazu: "Es
ist für einzelne nicht einfach, in kurzer Zeit anspruchsvolle Soft-
und Hardware zu entwickeln. Die Programme sind gründlich zu testen,
Musterkassetten und die dazugehörigen Beschreibungen sind zusammenzustellen,
die Manuskripterarbeitung für den FUNKAMATEUR braucht ihre Zeit, wenn
die Beiträge leicht verständlich sein sollen. Beruf, Familie
und Amateurfunk wollen auch bewältigt sein." Um der steigenden Nachfrage
nach neuer Hard- und
Software Herr zu werden, entstand der
Gedanke der Bildung des Berliner Amateurcomputerclubs.
Unter der Trägerschaft des Kulturbundes
und initiiert von engagierten Computerfreunden wurde Anfang 1988 der ACC
gegründet. Von hier aus hat man inzwischen etwa 1000 Musterkassetten
verschickt, die die Grundsoftware des Standes von 87/88 enthielten. Dazu
existiert ein noch recht weitmaschiges Netz von Bezirkskoordinatoren in
einigen Bezirken der DDR (siehe POSTBOX dieser Ausgabe), die in ehrenamtlichem
Rahmen die Verteilung von Software und neuen
Hardwaretips in ihren Bezirken übernehmen.
Nach der unvermeidlichen Konsolidierungsphase geht der Berliner Klub nun
1989 gezielter an die Arbeit. Hier sei die Bildung von Arbeitsgruppen wie
CP/M, Assemblerprogrammierung, BASIC, Grafik und Speicherproblematik genannt.
Ein Schritt in die richtige Richtung, wie ich finde. Und - eine wertvolle
Erfahrung in puncto Kollektivgeist und Weiterbildungswillen! Die Softwareabgabe
geschieht generell kostenlos, aber die auch bei anderen Computertypen schon
zur Berühmtheit gelangten "Programmhamsterer" mögen dringend
beachten, daß alle Kopierarbeit die Freizeit einiger Engagierter,
den mitunter nicht ganz kurzweiligen Gang zur Post und oft genug auch deren
Geld wegen vergessenem Porto kostet.
Der vorläufige Höhepunkt der
Softwareentwicklung nahm Ende 1988 Gestalt an - das CP/M für den AC
1! Damit ist ein Softwarehinterland erschlossen, das zur Zeit (auf 8-Bit-Maschinen)
noch seinesgleichen sucht. Der Trend geht nun zu hochwertiger Software,
wie solcher zur leistungsfähigeren Textverarbeitung, guten Spielen,
einem hochwertigen und kompatiblen BASIC-Interpreter, zur Erschließung
weiterer Programmiersprachen. Sich bereits abzeichnende Hardwareentwicklungen
wie Floppy-Disk-Laufwerksteuerung und Vollgrafik werden den Softwareentwicklem
ein enormes Betätigungsfeld öffnen. Es gibt also vorläufig
noch keinen Grund, den AC 1 mit seinen 8 Bit Verarbeitungsbreite in die
Ecke zu stellen.
Um das Thema Software abzurunden, sei
hier noch ein spezieller Wunsch der Funkamateure, wie Y32OJ und Y24VF genannt:
ein Amateurfunkmonitor, der u. a. verschiedene Sendearten unterstützt.
Auch die Elektronikamateure unter den Computerfreunden haben sich zu Wort
gemeldet. Sie wünschen sich mehr Software zum Einsatz des Computers
als Meßgerät. Die Musikelektroniker sind ebenfalls gefordert.
Wer erweckt denn nun endlich die vier CTC-Kanäle richtig zum Leben?
Die Halbleiterindustrie
und der AC 1
Der AC 1 trat just zu dem Zeitpunkt an
die Öffentlichkeit, als es mit der Halbleiterindustrie unseres Landes
rasant vorwärtszugehen begann. Plötzlich waren sie da, die 16-K-dRAMs,
die 4-K-sRAMs, die 2-K-EPROMs, die Interfaceschaltkreise aller Couleur,
die Marken-CPUs mit 2,5 und 4 MHz. Und in diese Situation gerieten jene,
die erst ab etwa 1986 begannen, ihren Computer aufzubauen: Man lötete
noch an der recht schnell erschienenen 16-K-Erweiterung, da wurde es wahr
- die DDR produziert massenweise 64-K-dRAMs. Und schon Ende 1987 waren
in Wermsdorf die ersten S1-Typen des U 2164 für 9,40M erhältlich.
1988 sank der Preis örtlich
weiter auf 5,65 M, und Verfügbarkeit
stellte kein Thema mehr dar. Bei diesem Tempo bleibt der 256-K-dRAM auf
der RAM-Floppy sicher nicht mehr allzulange ein Traum ...
Hardware - Stand und Tendenzen
Der Standard-AC 1 sieht heute so aus: Er
hat ein Bildschirmformat von 32 Zeilen a 64 Zeichen, 64-K-dRAM, den 2-K-Zeichengenerator
mit Pseudografik und 2-K-Bildwiederholspeicher.
Wie geht es nun weiter mit der Hardware?
Noch in diesem Jahr werden die Arbeiten an der Anpassung der 256-plus 64-K-RAM-Floppy
nach MP 3/88 und an der
Floppy-Disk-Laufwerksteuerung abgeschlossen.
Ein detaillierter Ausblick darauf und auf andere Hardware soll einem speziell
diesem Thema gewidmeter Beitrag in einer der nächsten Ausgaben vorbehalten
bleiben.
Fünf Jahre AC 1 - auch ein Exkurs
durch einen wesentlichen Abschnitt der Entwicklung unserer Mikroelektronik.
Selten waren so viele Amateure so dicht dran am Geschehen - man kann die
Dynamik des Voranschreitens der Halbleiterindustrie unmittelbar erleben;
ich meine, das hat schon etwas vom Abenteuer unserer Zeit. Und - es spricht
für sich, daß Amateure in unserem Land in der Lage sind, aus
der eigenen, hochentwickelten Bauelemenlebasis heraus Rechner zu bauen,
die ein enormes geistiges Potential freisetzen, das in vielen Fällen
auch in der professionellen Leistung seinen Niederschlag findet.
Wie viele haben gerade über diese
Bauanleitung zur Mikrorechentechnik gefunden, ihre Berührungsängste
verloren und nun in ihren Betrieben und Einrichtungen zur breiten Einführung
der Mikroelektronik beigetragen! Unter diesen Aspekten betrachtet, sind
die Erschließung des CP/M, die Einbindung der RAM-Floppy und die
Einführung des FloppyDisk-Laufwerkes ein nicht unwesentlicher Beitrag
der Elektronikamateure zum 40. Jahrestag unserer Republik, denn nur Leistung,
Kreativität und der Wille zum Erfolg bringen uns vorwärts. Das
gilt für die Amateure wie für die Industrie.
M. Schulz |